Analog zum Kursmagazin lesen Sie hier die Geschichten aus dem Leben (usem Läbä) von unterschiedlichsten Menschen.
«Ich sehe mich nicht als Musiklehrerin, sondern als jemanden, die organisiert und den Raum schafft, in dem sich alle wohlfühlen können.»
Trudy Jakober (76) geniesst das Üben im stillen Kämmerlein ebenso wie das gemeinsame Musizieren in der Gruppe. Solange der Sarnersee seine Wasser-Sinfonie säuselt, spaziert sie auch gerne dem Ufer entlang.
«Die feinen Töne der Zither, die ich schon von meiner Grossmutter kannte, faszinieren mich seit jeher.»
«Musik ist für mich mehr als nur ein Hobby. Abends, wenn ich meine Akkordzither stimme, komme ich zur Ruhe. Die Zither verlangt viel Aufmerksamkeit – besonders in der Übergangszeit vom Sommer zum Winter, wenn die Luftfeuchtigkeit schwankt, muss sie immer wieder neu gestimmt werden. Erst gestern Abend habe ich den Lysistrata-Walzer geübt. Das Theater Sarnen hat die gleichnamige Komödie im letzten Herbst aufgeführt.
Bei dieser Melodie kann ich so richtig abschalten und die Welt um mich herum vergessen.
Vor rund zwanzig Jahren habe ich die Akkordzither entdeckt. Damals dachte ich: Ich komme langsam ins Pensionsalter und brauche etwas für mich. Nach einigen familiären Verlusten wusste ich, ich muss etwas finden, das mir Freude macht. Die feinen Töne der Zither, die ich schon von meiner Grossmutter kannte, faszinieren mich seit jeher. Ich wollte ein Instrument, das mich nicht erst ein Jahr üben lässt, bis ich eine Tonleiter spielen kann. Etwas, bei dem ich schnell Ergebnisse sehe – sonst verliere ich die Motivation.
Mit der Akkordzither habe ich dann auch schnell Aufnahme in Musikformationen gefunden. Gerne erinnere ich mich an die Auftritte mit dem Camerata Saitenmusikensemble und der Huismuisig Pilatuskläng zurück. Mit der Huismuisig waren wir 2017 zu Gast in der Sendung ‘Potzmusig’ des Schweizer Fernsehens.
Mein Lieblings-Musikstück auf der Akkordzither? Da muss ich nicht lange überlegen: ‘Uf der Lüdere’ von Lorenz Mühlemann. Der Komponist hat das fantastische Panorama von der Lüderenalp auf die liebliche Emmentaler Landschaft in eine schöne, stimmige Melodie verpackt. Wenn man diese Idylle mal mit eigenen Augen gesehen hat, dann erkennt man sie auch beim Hören wieder.
Beim Zitherspielen geniesse ich das Üben in meinem Musikzimmer. Aber ich bin vom Charakter her eher ein ‘Rudeltier’. Jeweils am ersten Mittwoch im Monat treffen wir uns zum gemeinsamen Musizieren im Rahmen des Programmangebotes von Pro Senectute. Wir sind elf bis zwölf Spielerinnen. Alle im Pensionsalter. Diese Vielfalt an Lebenserfahrungen bereichert unser Zusammenspiel ungemein. Jedes Mal gibt es ein neues Programm, das ich vorbereite. Die Themen sind vielfältig – mal Winterlieder im Februar, mal leichte Klassik im Frühling oder Liebeslieder. Unser Repertoire umfasst mittlerweile über 70 Stücke, von denen etwa 15 bis 20 so gut eingespielt sind, dass wir sie für kleine Auftritte nutzen könnten. Doch darum geht es uns nicht. Unser Fokus liegt auf dem gemeinsamen Spielen.
Im Berufsalltag und auch jetzt im Ruhestand sehe ich mich als Macherin. Wenn ich eine Idee habe, denke ich: Das schaffen wir schon. Ein gutes Beispiel dafür ist meine Erfahrung im Sport, als ich Volleyballtraining gegeben habe. Damals musste ich feststellen, dass viele Frauen im Turnverein – etwa Mitte 20 – noch keine Volleyball-Grundtechniken beherrschten. Also habe ich kurzerhand eine neue Gruppe gegründet. Mir ging es nie darum, nur die besten Spielerinnen zu fördern, sondern eine Atmosphäre zu schaffen, in der jede Freude und Fortschritte erleben konnte. Das gilt auch für das gemeinsame Musizieren: In den ersten Stunden nahmen wir Rücksicht auf alle. Ab der zweiten Stunde spielten wir anspruchsvollere Stücke, sodass jede Teilnehmerin Spass am Fortschritt hatte. So wuchs die Gruppe zusammen und entwickelte sich Schritt für Schritt weiter.» Die Veranstaltung «Gemeinsames Musizieren» ist dank des grossen Engagements von Trudy Jakober seit inzwischen zehn Jahren eine feste Grösse im Programmangebot von Pro Senectute.
«Natürlich braucht es eine gewisse Disziplin, um den Takt zu halten und die Einsätze sauber zu spielen. Ich sehe mich aber nicht als Musiklehrerin, sondern als jemanden, die organisiert und den Raum schafft, in dem sich alle wohlfühlen können. Manchmal gelingt ein Stück beim ersten Mal nicht perfekt, und das ist völlig in Ordnung. Wenn die eine oder andere Saite mal verstimmt ist, stimmen wir sie neu und fangen wieder von vorne an. Das Miteinander ist für uns wichtiger als Perfektion. Die Geduld, die wir füreinander aufbringen, gehört einfach dazu. Aber wir achten schon auch darauf, dass wir nicht jedes Stück mehrmals wiederholen müssen. Manchmal tauche ich ganz in die Klänge ein und spüre, wie die Zeit für einen Moment stehen bleibt.
«Die verschiedenen Zithern klingen alle anders und doch kann man – miteinander kom-binieren – eine Mehrstimmigkeit erzeugen.»
Unser Saitenmusikensemble hatte die besondere Gelegenheit, Teil eines Forschungsprojekts des Instituts für Musikpädagogik der Hochschule Luzern zu sein, das die Wirkung des Musiklernens und Musizierens im Alter untersuchte. Die Forscher begleiteten uns einen ganzen Tag lang mit der Kamera und beobachteten, wie die Musik unsere Gruppe stärkte und unsere sozialen Verbindungen förderte. Die Zusammensetzung mit verschiedenen Instrumenten – von Zithern über Mandoline bis hin zu Cello und Gitarre – zeigte, wie lebendig und vielfältig Musik im Alter sein kann. Entstanden ist ein kurzer Dokumentarfilm mit dem Titel ‘Musik ist mein Leben’. Das passt. Heute, gut fünf Jahre nach dem Projekt, ist unsere Gruppe eine der wenigen, die immer noch aktiv musiziert und zeigt, dass Musik eine verbindende Kraft hat.
«Vor einem Wetterwechsel wird der See oft ganz still, als würde er einen Moment innehalten.»
Nach intensiven Jahren im Berufsleben und in der Politik geniesse ich nun umso mehr die Zeit zum Musizieren und zum Spazieren. Der Sarnersee ist für mich dabei ein stiller Begleiter. Ich bin direkt am See aufgewachsen, neben dem Bruderklausenhof. Mein Vater war Berufsfischer. Zu meinen Kindheitserinnerungen gehört das Fischputzen und Mithelfen. Der See hatte schon damals seinen eigenen Klang, den ich nach all den Jahren immer noch erkenne. Vor einem Wetterwechsel wird der See oft ganz still, als würde er einen Moment innehalten. Mein Vater brachte mir bei, die Veränderungen im Wasser zu lesen. Dann riecht der See eher, als dass er tönt. Noch heute erkenne ich diesen besonderen Geruch, wenn das Wetter wechselt und das Wasser steht. Der Sarnersee kann auch wild sein. Ich erinnere mich an heftige Stürme. Der Wind drohte, die teuren Netze zu zerreissen. Diesen Stress des Sturms hatte ich lange. Umso schöner ist es, wenn ich in der Ruhe des Abends auf meiner Zither spielen und ganz in die Melodie eintauchen kann.»