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Paul Wyss ist Lehrer aus Leidenschaft!

Paul Wyss ist seit vier Jahrzehnten Lehrer aus Leidenschaft. Wenn der 72-Jährige nicht Literaturgeschichte und Englisch für Fortgeschrittene unterrichtet, legt er auf dem Rennvelo pro Jahr 20'000 Kilometer zurück. Sein Übername "Blitzer-Poili" hat aber einen anderen Ursprung.

Paul Wyss

Wir treffen uns in der Bibliothek der Kantonsschule. 38 Jahre haben Sie hier unterrichtet. Wie hat sich das Lehren und Lernen in dieser Zeit verändert?

Ich sage immer: Mensch ist Mensch. Im Wesentlichen hat sich das Lehren und Lernen nicht gross verändert. Als Lehrer habe ich immer versucht, die Schülerinnen und Schüler für mein Fach zu begeistern. 50 Prozent machte mein Unterrichtsangebot aus, 50 Prozent lag bei den Schülern selber. Ansonsten habe ich mit etwas Druck gearbeitet. Also viele Prüfungen gemacht. Ich war bekannt für «Blitzer», unangekündigte Prüfungen. Deshalb mein Übername «Blitzer-Poili». Damit hat man sich natürlich keine Freunde für die Galerie gemacht. Heute setzt man als Lehrperson viele technische Hilfsmittel für den Unterricht ein. Ich bezweifle, dass man damit die Schüler eher zum Mitmachen animiert. Wichtiger ist die Leidenschaft, die man als Lehrer hat. Diese Passion hatte ich über die 38 Jahre. Und auch heute noch, wenn ich bei Pro Senectute unterrichte oder an der Senioren Universität Luzern. Und was das Schönste dran ist; heute habe ich keinen Druck mehr. Alle sind freiwillig bei mir im Unterricht. 

Woher kommt diese Leidenschaft fürs Unterrichten und insbesondere für die Literatur?

Schon als Kind haben mich Bücher fasziniert. Ich habe nie gerne gespielt, dafür umso mehr gelesen. Als ich einmal meine Eisenbahn gegen ein paar Bücher eingetauscht hatte, gab es ein grosses Donnerwetter von meinem Vater. Wir mussten den Tausch rück- gängig machen. Auch spielte ich gerne Lehrer. Als ich ins Gymnasium ging, war das für einen Spross aus einer mittelständischen Familie etwas aussergewöhnlich. Meine frommen Tanten hatten gehofft, dass ich einen geistlichen Weg einschlagen würde. Was ich ja auf den zweiten Blick gemacht habe: Die Literaturwissenschaft ist eigentlich die Nachfolgerin der Theologie.

Seit 2016 bieten Sie bei der Pro Senectute die Kurse Englisch für Fortgeschrittene und Literaturgeschichte an. An wen richtet sich das Angebot?

In den Kursen habe ich jeweils zwischen acht und zehn Teilnehmende. Dafür braucht es keinen Hochschulabschluss. Da gibt es den ehemaligen Autoverkäufer, der Freude am Lesen hat. Oder ein paar sehr belesene Frauen, die vermutlich mehr Bücher kennen als ich. Als Hausaufgaben lesen wir jeweils ein Kapitel und beantworten Fragen dazu. Die Menschen sind unabhängig ihres Alters gleich gestrickt. Es gibt solche, die sind sehr fleissig. Und andere, die haben gute Gründe, mal auf die Hausaufgaben zu verzichten. Sei es die Gartenarbeit oder sonst was (schmunzelt). Aber eigentlich spielt es keine Rolle. Es gibt ja keinen Leistungsnachweis. Wir haben es immer auch lustig und reden über Gott und die Welt. Im Englisch-Kurs ist ein ehemaliger Arzt dabei – und wir kommen in Genuss einer Gratis-Sprechstunde zum Thema Gesundheit im Alter.

Mit dem ganzen Literaturwissen könnten Sie selber einen Bestseller schreiben. Wie viele Manuskripte warten auf eine Veröffentlichung?

(Lacht) Keines. Früher habe ich an Kurzgeschichten-Wettbewerben teilgenommen. Aber jetzt fehlt mir die Zeit zum Schreiben. Es gibt einen bezeichnenden Satz von Jeremias Gotthelf. Wenn er ein Pferd gehabt hätte, hätte er nicht geschrieben. Umgekehrt formuliert: Wenn ich kein Rennvelo hätte, dann würde ich schreiben. Pro Jahr lege ich rund 20'000 Kilometer zurück. Einmal um die halbe Welt.

Von Gotthelf stammt auch das Werk «Geld und Geist». Im kommenden Semester bieten Sie einen Kurs zum Thema «Geld und Spekulation in der Literatur» an. Das hört sich nach Macht und Intrigen an.

Ausschlaggebend für die Themenwahl war die aktuelle Banken krise. Fürs Erste werden wir uns dem Thema über die Werke von Goethe nähern. Goethe hat sich als Minister des Herzogtums Weimar auch mit Geldpolitik beschäftigt. In seinem Drama «Faust II» veranschaulicht er die Funktionsweisen von Geld. Das ist das grosse Thema unserer Zeit. In «Martin Salander» von Gottfried Keller heisst es sinngemäss: Wollen in einer Nation die Menschen das Geld mit Spekulieren verdienen und müssen nicht dafür arbeiten, dann ist etwas faul im Staat. Wie Goethe schon erkannte: «Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles.»

Welches Buch liegt momentan auf Ihrem Nachttisch?

Als Vorbereitung auf den Kurs habe ich kürzlich Wilhelm Hauffs «Das kalte Herz» gelesen. Unabhängig davon stand Juli Zehs WhatsApp-Roman «Zwischen Welten» auf meinem Lese-Programm. War spannend, auch wenn die Literaten etwas die Nase rümpfen. Sie kann die aktuellen Themen gut aufgreifen. «Eine Krume Brot» von Lukas Bärfuss und «Melody» von Martin Suter habe ich jüngst gelesen. Also mehrheitlich Bücher der Gegenwart. Sonst bewege ich mich literaturhistorisch eher in der Vergangenheit.

Wenn Sie eine Autorin oder einen Autor auf einen Kaffee treffen dürften, wen würden Sie einladen und weshalb?

William Shakespeare. Ich würde ihn fragen, ob er alle Werke selber geschrieben hat. Das ist ja eine stetige Debatte in der Literaturwissenschaft.

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