Usem Läbä: Sepp Gasser

Analog zum Kursmagazin lesen Sie hier die Geschichten aus dem Leben von unterschiedlichsten Menschen. Dieser Artikel ist aus dem Kursamagazin Januar 2023.

«Mitenand ist ein wichtiges Wort für mich.»

Sepp Gasser in seiner Buitig in Alpnach

Sepp Gasser(71) mag «Heavy Metal» und lüpfige Ländlermusik. Zwischenmenschlich bevorzugt er ruhige und sanfte Töne. Das zeigt sich auch in seinem Engagement für Pro Senectute.

Aufgewachsen bin ich in der Grunz in Alpnach. Mein Vater wurde in Berlin geboren. Als mein Grossvater starb und meine Grossmutter die Familie nicht alleine durchbringen konnte, kam mein Vater als Verdingkind nach Alpnach und wurde da von seinen Pflegeeltern Walter und Therese Gasser adoptiert.

Dort, wo man aufwächst und sein Herz hat, ist man daheim. Obwalden ist meine Heimat.

Ich erinnere mich sehr gerne an meine Kindheit zurück. Wir hatten einen kleinen Bauernbetrieb mit zehn Kühnen und sieben, acht Rindern – bewirtschaftet wie zu Gotthelfs Zeiten, mit Ross und Wagen. Wir haben von Hand gemäht und Heinzen für die Heutrocknung gemacht. Es gab auch keine Melkmaschine. Ich war mit Leib und Seele ein Bauernbub. Mein Vater hatte das Gefühl: Der Sepp wird einmal Bauer. Ich stand meinem Vater sehr nahe. Er war ein grossartiger Mensch und konnte auch Emotionen zeigen. Wir haben uns blind verstanden. Die Mutter war der ruhende Pol in der Familie.

Mein Vater hat zu uns Kindern immer gesagt: Lernt, was euch Freude macht. Das haben meine neun Geschwister und ich beherzigt. Kurze Zeit war ich im Kollegi, aber bald habe ich gemerkt, dass ich eher der Handwerker bin. An einem Sonntag nach der Kirche kam der Vater nach Hause und sagte, er habe den Durrer Sepp getroffen, der in Luzern Werkstattchef war. Er habe eine Lehrstelle für mich. Und so habe ich meine Ausbildung zum Maschinenmechaniker im Zylinderschleifwerk Wehrli in Luzern begonnen. Wir waren acht Stifte und vom ersten Tag an durften wir an den Werkzeugmaschinen arbeiten. Ich war gerade erst zwei Wochen in der Stifti, da ist mein Vater mit 57 an einem Herzinfarkt verstorben. Das war ein harter Schlag. Ich musste kurzzeitig den Betrieb weiterführen. Doch dreieinhalb Hektar Land rund um den Hof und zwei Hektar Pachtland beim Flugplatz waren zu wenig für eine zukunftssichernde Existenz. Das Vieh wurde versteigert und der Betrieb verpachtet.

Nach der Stifti arbeitete ich bei einem Laborbauunternehmen in Basel, danach bei Landis & Gyr in Zug. Mit einem Kollegen plante ich, aufs Schiff zu gehen und die Welt zu bereisen. Aber der Ver­dienst als Schiffsreiniger war zu klein, um die Abenteuerlust zu stil-len. Und so liess ich es bleiben. Mit 22 Jahren entschloss ich mich, einen Winter auf Melchsee-Frutt als Skilehrer zu verbringen. In St. Niklausen lernte ich meine Frau Rita kennen. Und als im Früh -ling die Skisaison vorbei war, suchte die Alpnach Norm einen Betriebsmechaniker. Das Timing passte perfekt. Zusammen mit meinem Kollegen hatte ich einmal die Aufgabe, ein altes Balkon­geländer für das neue Wohnhaus von Herrn Breisacher in Kehrsiten zu restaurieren. Wir bauten eine Wanne zum Ablaugen und schweissten das Geländer neu zusammen. Da habe ich meine Leidenschaft für das kreative Metall-Handwerk entdeckt. Doch ich stellte mir die Frage: Will ich ein Leben lang Schlosser und Mech sein? Ich habe gemerkt: Ich muss mehr unter die Leute.

Im Amtsblatt sah ich eine Annonce: Die Kantonspolizei Obwalden suchte Polizeianwärter. Ich habe mich gemeldet. Doch, wenn ich gewusst hätte, dass 47 Personen bei den Prüfungen sind, dann wäre ich vermutlich nicht hingefahren. Aber die Aufnahme hat dann geklappt. Und ich habe diesen Entscheid bis heute nicht eine Sekunde bereut. Die Ausbildung und Berufsausübung waren für mich eine ausgezeichnete Lebensschule.

Ein halbes Jahr nach der Polizeischule bin ich bei der Kriminalpolizei gelandet. Zehn Jahre war ich unter anderem Drogensachbearbeiter. Nicht das Delikt stand für mich im Vordergrund.

«Mich hat primär immer der Mensch interessiert und warum es zu seinem Verhalten kam.»

1990 durfte ich die Verwaltungspolizei übernehmen. Darin war das Patentamt für Jagd, Fischerei, Bergführer und Skilehrer ebenso integriert wie die Fremdenpolizei. Nahe bei den Menschen zu sein und sich für die Schwächeren einzusetzen, das sind meine Vor­lieben. Ich habe das Glück, dass mir Empathie in die Wiege gelegt wurde.

Man hat immer eine Lösung finden müssen – sei es als Bauernbub, als Mechaniker oder eben in dieser Verantwortung. Wenn es schwierig ist, bin ich im Element. Wenn etwas gelingt, macht einen das zufrieden. Ich finde es ist auch schön, Menschen zu helfen. Das mache ich auch mit meinem Engagement «Generationen imKlassenzimmer». Wie mit meinen eigenen Kindern und Grosskindern ist es toll zu merken, dass man diesen jungen Menschen etwas auf den Lebensweg mitgeben kann. Seit fünf Jahren begleite ich Klassen und insbesondere lernschwächere Kinder. Ein bis zwei Halbtage pro Woche unterstütze ich sie im Unterricht.

«Mitenand» ist ein wichtiges Wort für mich. 13 Jahre war ich Präsident des Trachtenchörli Obwalden. Wenn es dir gelingt, drei Generationen miteinander zu verbinden, dann ist dies etwas Wun-derbares. Wenn der gegenseitige Respekt da ist, dann kann man noch so unterschiedlich sein, dann gelingt das Miteinander.

«Das Leben ist eine Charaktersache. Das hat nichts mit Intelligenz, Bildung oder Status zu tun.»

Ich bin gerne unter Leuten, geniesse aber auch die Momente für mich alleine. Seit der Pensionierung habe ich wieder mehr Zeit für meine Leidenschaft – aus Metall allerlei Nützliches und Kunst­volles zu fertigen. Im Stall neben meinem Elternhaus habe ich eine «Buitig» eingerichtet. Da verbringe ich mal mehr, mal weniger Zeit. Es kommt immer drauf an, was gerade für ein Projekt ansteht. Auch vor unserem Haus steht eine Skulptur. Wer von Stalden nach Sarnen runterfährt hat sie bestimmt schon gesehen. Es gibt Leute, die spontan anhalten, um ein Foto zu machen.

Am Abend setze ich mich gerne auf die Terrasse vor unserem Haus, betrachte die Landschaft, höre Ländler-und Jodelmusik und rauche Pfeife. Dabei kann ich herrlich abschalten und einfach genies-sen oder an neuen Herausforderungen herumstudieren. Das ist herrlich. Es muss nicht immer Action sein.

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